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sid-lesung-texte-KB-BND Kai Biermann: "Die BND-Überwachung verstößt gegen die Verfassung" (8. Februar 2015)
http://www.zeit.de/digital/datenschutz/2015-02/bnd-ueberwachung-metadaten-verfassungswidrig/komplettansicht

Der BND sammelt täglich Millionen Metadaten, wertet sie aus und teilt sie mit den USA. Das ist illegal, sagt Anwalt Niko Härting. Es gebe dafür keine Rechtsgrundlage.

Niko Härting ist als Anwalt spezialisiert auf Internet- und IT-Recht. Er hat gegen den Bundesnachrichtendienst geklagt, weil dessen Massenüberwachung unverhältnismäßig sei. Die Klage wurde vom Bundesverwaltungsgericht 2014 abgewiesen, da Härting nicht nachweisen konnte, dass er selbst von dieser Überwachung betroffen war. Härting plant weitere Klagen gegen die Überwachung des BND.

M.: ZEIT ONLINE
Malte: Niko Härting

ZEIT ONLINE: Herr Härting, der BND sammelt sogenannte Metadaten. Ist das durch seinen gesetzlichen Auftrag gedeckt?

Niko Härting: Metadaten sind kein juristischer Begriff, juristisch heißen die Daten Verbindungsdaten. Verbindungsdaten – das wissen wir spätestens seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Vorratsdatenspeicherung – sind durch das Fernmeldegeheimnis geschützt. Einschränkungen des Fernmeldegeheimnisses sind das Thema des G-10-Gesetzes. Das heißt: Alles, was der BND mit den Verbindungsdaten, mit Metadaten tun darf, muss im G-10-Gesetz geregelt sein. 

ZEIT ONLINE: Aber das G-10-Gesetz kümmert sich nur um Deutsche. Der BND sagt, wir sammeln diese Daten nur im Ausland, als sogenannte Auslands-Auslands-Kommunikation. Darf der Dienst das also doch?

Härting: Das ist die sogenannte Weltraumtheorie. Dieser Lesart hat das Bundesverfassungsgericht schon 1999 sehr deutlich widersprochen und gesagt, dass das Telekommunikationsgeheimnis auch im Ausland gilt. Der Bundesnachrichtendienst vertritt eine andere Auffassung. Ich kenne jedoch keinen einzigen Verfassungsrechtler, der dieser Haltung des BND zustimmen würde.

ZEIT ONLINE: Der BND darf also gar keine Verbindungsdaten speichern und nutzen?

Härting: Nein, das darf er nicht. Verbindungsdaten unterliegen dem G-10-Gesetz. Und im G-10-Gesetz gibt es keine Befugnis dafür. Deswegen darf er sie nicht erfassen, nicht speichern und erst recht nicht irgendwie auswerten.

ZEIT ONLINE: Egal, woher er sie hat?

Härting: Egal, woher er sie hat. Der BND behandelt Verbindungsdaten so, als ob sie nicht unter das G-10-Gesetz fallen würden. Aber das stimmt nicht, das ist verfassungswidrig.

ZEIT ONLINE: Aber wie kommt dann der BND zu dieser Ansicht, der Dienst hat doch auch Juristen?

Härting: Wo kein Kläger, da kein Richter, ganz einfach.

ZEIT ONLINE: Wenn niemand klagt, kann ich einfach das Gesetz brechen?

Härting: Richtig. 

ZEIT ONLINE: Sollte man nicht hoffen dürfen, dass sich eine deutsche Behörde auf deutschem Boden an deutsches Recht hält?

Härting: Ja. Aber wir hätten nicht so viele Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, wenn das immer so wäre.

ZEIT ONLINE: Sie sagen also, das, was der BND da im Rahmen seiner Auslands-Auslands-Überwachung tut, verstößt gegen die Verfassung?

Härting: Ja. Das sagt im Übrigen auch Hans-Jürgen Papier, der immerhin Präsident des Bundesverfassungsgerichts war. Das können Sie auch in jedem Grundgesetz-Kommentar so nachlesen. Beim Bundesnachrichtendienst meint man trotzdem, an dieser anderen Auffassung festhalten zu können. 

ZEIT ONLINE: Im Bundeskanzleramt offensichtlich auch, immerhin hat das Kanzleramt diese massenhafte Überwachung genehmigt, oder?

Härting: Ja, das meint man auch im Kanzleramt.

ZEIT ONLINE: Darf das Kanzleramt so etwas überhaupt genehmigen, darf es ein illegales Verhalten erlauben und somit eigenes Recht schaffen?

Härting: Nein, nach meiner Überzeugung darf es das nicht. Aber auch da gilt: Solange kein Gericht dem widerspricht, wird man das Bundeskanzleramt nicht bremsen können. 

ZEIT ONLINE: Dann klagen Sie doch...

Härting: Das ist eine große Herausforderung. Ich habe eine solche Klage schon geführt. Doch das Bundesverwaltungsgericht war der Meinung, man könne eine solche Klage nur anstrengen, wenn man nachweisen könne, dass man selbst betroffen ist. Was angesichts der heimlichen Überwachung unmöglich ist. 

ZEIT ONLINE: Es kann also gar keinen Kläger geben gegen diesen Missbrauch?

Härting: Solange stimmt, was das Bundesverwaltungsgericht sagt, gibt es kein individuelles Klagerecht dagegen. 

ZEIT ONLINE: Was wäre ein Ausweg?

Härting: Es war ein Versäumnis der politischen Parteien, dass sie das G-10-Gesetz nie überprüft haben. Die jetzige Fassung trat 2001, noch vor dem 11. September, in Kraft. Keine der Parteien hat dagegen Verfassungsbeschwerde erhoben.

ZEIT ONLINE: Müsste angesichts der neuen technischen Möglichkeiten also ein neues Gesetz geschaffen werden, wenn es um Eingriffe in das Fernmeldegeheimnis geht?

Härting: Natürlich. Das G-10-Gesetz muss reformiert werden. Es braucht eine breite gesellschaftliche Debatte darüber, was unter den heutigen technischen Bedingungen die Befugnisse des Bundesnachrichtendienstes sein sollen. Das darf man nicht dem BND überlassen. Und es braucht konkrete Vorschläge, wie man die Kontrolle der Nachrichtendienste verbessern kann. 

ZEIT ONLINE: Warum? Funktioniert die Kontrolle der Nachrichtendienste nicht?

Härting: Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass die Kontrolle funktioniert. Es ist keine einzige Geschichte bekannt geworden, bei der eines dieser Gremien ein Verfahren der strategischen Überwachung gestoppt hat. Es gibt keinen Anhalt zu glauben, dass die Kontrolle funktioniert. 
Es wäre sinnvoll, ein kontradiktorisches Verfahren zu entwickeln. Also ein Gericht einzusetzen, das unabhängig über das Abhören entscheidet und bei dem zwei Seiten ihre Argumente vortragen: Der Nachrichtendienst, der über die Notwendigkeit aus Sicherheitssicht spricht. Und eine zweite Seite, die ganz klar Partei ist, und die aus der Perspektive der Bürgerrechte und der Freiheit dagegen argumentiert. Derzeit haben wir das Problem, dass es in den Kontrollinstanzen keinen Anwalt der Betroffenen gibt. G-10-Kommission, Parlamentarisches Kontrollgremium, auch Kanzleramt hören nur die Seite der Dienste. Wenn ich immer nur die eine Seite höre, immer nur höre, wie wichtig die Überwachung ist, ist es natürlich schwer, sich dagegen zu entscheiden. Deswegen ist in normalen Gerichtsverfahren ein Gegenpart vorgesehen. Der fehlt hier.