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sid-lesung-texte-DG Daniele Ganser - Die Geheimarmeen der Nato (15.12.2004)

http://www.nzz.ch/aktuell/startseite/articlea0er3-1.348425

[...] Am 3. August 1990 bestätigte der damalige Premierminister Italiens, Giulio Andreotti, die Existenz einer Nato-Geheimarmee vor einem mit der Untersuchung von Terroranschlägen beauftragten Ausschuss des italienischen Senates. In Italien, so sagte Andreotti, habe die Geheimarmee unter dem Decknamen «Gladio» (das Schwert) als verdeckte Unterabteilung des militärischen Geheimdienstes SISMI […] operiert. Die Senatoren, die zuvor nicht über die Geheimarmee informiert gewesen waren, übten scharfe Kritik, bezeichneten die Geheimarmee als möglicherweise illegal und verfassungswidrig und forderten einen schriftlichen Bericht. Diesen legte Andreotti am 18. Oktober 1990 vor und bestätigte, dass Gladio unter der Kontrolle des SISMI noch aktiv sei, dass die Central Intelligence Agency (CIA) die Gladio-Armee nach dem Zweiten Weltkrieg in Italien im Geheimen aufgebaut habe, dass ähnliche Strukturen in allen Ländern Westeuropas existierten und dass die Nato die Geheimarmeen koordiniere.

[…] Die Geheimarmeen, so Andreotti, wurden als Stay-behind-Netzwerk von der Nato für den Fall einer sowjetischen Invasion von Westeuropa aufgebaut. Die Stay-behind-Armeen verfügten über geheime Sprengstoff- und Waffenlager und hätten im Kriegsfall auf italienischem Territorium als antikommunistische Guerilla die Rote Armee bekämpfen sollen.

[...] Aufgrund von Dokumenten des militärischen Geheimdienstes zur «Operation Gladio» konnte [Untersuchungsrichter] Casson beweisen, dass die Geheimarmee neben dem äusseren Feind, der sowjetischen Armee, auch einen inneren Feind bekämpfen musste: die starke Kommunistische Partei (PCI) und die kleinere Sozialistische Partei (PSI). Denn das Pentagon in Washington wie auch der italienische militärische Geheimdienst fürchteten, dass der Einzug der Kommunisten oder der Sozialisten in die italienische Regierung die Nato von innen heraus schwächen würde.

Um dies zu verhindern, wurde mit der «Strategie der Spannung» das Volk in Italien durch Terroranschläge in Angst und Schrecken versetzt, worauf die Bevölkerung nach einem starken autoritären Staat und mehr innerer Sicherheit verlangte. Gleichzeitig wurden die Anschläge durch Manipulation der Spuren durch den militärischen Geheimdienst dem politischen Gegner in die Schuhe geschoben, um die PCI [Kommunisten] und PSI [Sozialisten] zu diskreditieren und an der Urne zu schwächen. [...]

«Man musste Zivilisten angreifen, die Männer, Frauen, Kinder, unschuldige Menschen, unbekannte Menschen, die weit weg vom politischen Spiel waren», erklärte Vincenzo Vinciguerra, der von Untersuchungsrichter Casson als Täter eines Anschlages überführt worden war. «Der Grund dafür war einfach. Die Anschläge sollten die Menschen, das italienische Volk, dazu bringen, den Staat um grössere Sicherheit zu bitten. Diese politische Logik liegt hinter all den Massakern und Terroranschlägen [...]»

[...] Der französische Parlamentarier Dury [...] erklärte: «Was uns am meisten an dieser Gladio-Affäre beunruhigt, ist die Tatsache, dass diese Netzwerke unsichtbar und ohne jede Kontrolle der demokratischen Vertreter existieren konnten.» Darauf verurteilte das EU-Parlament mit einer Resolution, gerichtet an die USA und die Nato, die Geheimarmeen scharf und forderte die Mitgliedstaaten dazu auf, ihre nationalen Geheimarmeen genau und öffentlich zu untersuchen.

[...] In Deutschland wollte die oppositionelle sozialdemokratische SPD das Thema der Nato-Geheimarmeen als Plattform gegen die regierende CDU von Bundeskanzler Helmut Kohl aufbauen, um kurz vor den ersten gesamtdeutschen Wahlen nach dem Mauerfall und der Wiedervereinigung Stimmen zu gewinnen. [...] Darauf wies die CDU [...] darauf hin, dass auch SPD-Verteidigungsminister Helmut Schmidt, der spätere Bundeskanzler, das Stay-behind-Geheimnis während seiner Zeit in der Regierung gehütet hatte, worauf die SPD im Parlament zusammen mit der CDU für eine Untersuchung hinter verschlossenen Türen stimmte.
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